Corona belastet den Arbeitsmarkt – doch die Logistik-Branche in NRW boomt. | Copyright © Halfpoint

NRW in der Corona-Krise: Diese Branchen sind die Gewinner

Die Corona-Pandemie gestaltet sich nicht nur als unmittelbare Bedrohung für Leib und Leben. Ein weiteres Opfer ist die heimische Wirtschaft, allen voran der Arbeitsmarkt, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in keiner vergleichbaren Verfassung mehr war. Wie alle Krisen bringt jedoch auch Corona nicht nur Verlierer hervor. Einige Branchen profitieren von den neuen Lebensumständen und Gegebenheiten durchaus. In NRW zeigt sich hier vor allem ein klarer Boom für die Logistik-Branche, der widerspiegelt, wie sehr weltweit im Online-Handel derzeit die Post abgeht.

Personal gesucht für die neue Mobilität

Wer seinen Arbeitsplatz aufgrund der COVID-19-Pandemie verloren hat, tut gut daran, sich in der Logistik-Branche nach Ersatz umzusehen. Wenn der analoge Handel unfreiwillig geschlossen hat, läuft der ohnehin schon seit Jahren boomende Online-Handel zur Höchstform auf. Wer dabei nur auf den Transport mittels LKW und Schiene denkt, muss seinen Horizont erweitern. Städte wie Aachen beispielsweise suchen auf ihren Karriereportalen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für ganz neue Bereiche in Sachen Mobilität und Logistik. Motiviertes Personal, auch als Quereinstieg, sucht Aachen beispielsweise für ein Projekt zum Thema „Lastenfahrradförderung“. Ein neuer Zweig im Mobilitätsbereich scheint hier aus der Taufe gehoben zu werden, der dem stark wachsenden Online-Handel zum einen, der Take-Away-Food-Gesellschaft zum anderen geschuldet sein dürfte.

Ein anderes Jobprofil hält nach Interessentinnen und Interessenten Ausschau, die sich für den Fachbereich Stadtentwicklung, Städteplanung und Mobilitätsinfrastruktur in NRW interessieren. Weiters gefragt sind Fachkräfte im Projektmanagement für das stadteigene Förderprogramm zum Thema „Mobilitätswende“ oder in der Sachbearbeitung für die Abteilung Straßenraumentwurf, exklusiv für den Radverkehr. Gerade Städte wie Aachen tun gut daran, neue Wege aus der Job-Misere für sich und ihre Bewohnerschaft zu finden und zu beschreiten. Wie die Krise zeigt, kann der Tourismus als Hauptwirtschaftszweig vom Fels in der Brandung ganz schnell zum unbeweglichen Monolithen werden.

Dauerbrenner Einzelhandel

Wenn die Waren erfolgreich zur Kundschaft gebracht wurden, braucht es Personal, das diese auch an die Kaufinteressierten bringt. Der Einzelhandel − allen voran der Bereich Lebensmittel − hat nach der Logistik-Branche am stärksten von Corona und dem damit einhergehenden neuen „Lifestyle“ profitiert. Arbeiten im Supermarkt erlebte darüber hinaus dank lebensbedrohender Pandemie zumindest kurzfristig eine ideologische Aufwertung, indem die Wichtigkeit dieser Jobs mit dem Prädikat „systemrelevant“ plötzlich auf ein Podest mit medizinischem Personal und der Exekutive gehoben wurde. Diese Wertschätzung zeigte sich zwar mittel- bis langfristig leider nicht in monetärer Form, die Nachfrage nach Arbeitskräften für Supermarkt, Drogerie u. w. blieb jedoch trotz Krise ungebrochen.

Wachsende Branchen in Nordrhein-Westfalen

Neben Logistik und Einzelhandel sind auch einige „neuere“ Branchen in NRW auf dem Weg nach oben. Seit Beginn der Corona-Krise sind Pflegekräfte im Dauereinsatz und so ziemlich alle Varianten von Personal in medizinischen Bereichen. Home Office sei Dank leiden immer mehr Menschen an Rücken- und Haltungsproblemen, was den Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten oder den Osteopathinnen und Osteopathen einen noch nie dagewesenen Zulauf beschert. Wer eine Sanitätsausbildung hat, kann sich dieser Tage doppelt und dreifach freuen: Teststraßen und Impfzentren suchen händeringend nach Personal, ebenso diverse Telefon-Hotlines und Chats, die erste Anlaufstellen für Fragen rund um das Thema COVID-19 sind.

Der Boom zum Heimwerken mangels Urlaubsalternativen stellt die Holzbranche und die holzverarbeitende Industrie vor ungeahnte Absatzmöglichkeiten, die mitunter bereits den Export in ferne Länder wie China gefährden könnten. Denn: Einmal mühsam erarbeitete Absatzmärkte außerhalb der EU möchte man nicht so einfach wieder aufgeben. Wer den Berufswunsch Steuerberaterin oder Steuerberater und Wirtschaftsprüferin oder Wirtschaftsprüfer schon immer mächtig pochend in seiner Brust verspürte, und über die nötigen Grundvoraussetzungen verfügt, kann nun quasi aus dem Vollen schöpfen. Diese Berufsgruppe gilt aktuell sogar als akut Burnout-gefährdet.

Auf dem Vormarsch ist ungebrochen die IT-Branche. Sie setzt den Trend der letzten Jahre souverän fort. Das neue Leben findet dank Corona hauptsächlich digital statt. Egal, ob Einkaufen oder Freizeitgestaltung: Wir verbringen mehr Zeit im Internet als in der echten, aber leider sehr beschränkten analogen Welt. Reichlich Personal gesucht wird auch im Sozialbereich. Die Nachfrage nach Mitarbeitenden in der Sozialarbeit, in der Sozialpädagogik und Psychologie boomt in nie dagewesenem Ausmaß.

Die „Neuen“ am Wirtschaftsstandort NRW

Traditionellerweise stand Nordrhein-Westfalen lange Zeit im mächtigen Schatten von Industriebetrieben der Bereiche Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie und Automobilindustrie. Trotz Kohlekrise und dem damit einhergehenden Einbruch der mächtigen Montanindustrie erwirtschaftet das Bundesland nach wie vor mit über 20 Prozent mehr als ein Fünftel des gesamten deutschen Bruttoinlandsprodukts. In der einstigen Gegend von Kohle und Stahl haben sich erfolgreich Unternehmen der Kommunikationstechnologie (Deutsche Telekom), Digitalisierung (Ceconomy) und Energieversorger (Uniper und E.ON) etabliert, die nicht nur auf nationalem Parkett zu den Big Playern zählen. Diese Branchen können sich über kontinuierliches Wachstum freuen, die Corona-Krise stellt für sie keine Bedrohung dar.

Ein starker Wirtschaftszweig in NRW operiert hingegen lieber im Verborgenen. Das Bundesland mit der höchsten Bevölkerungsdichte verfügt Schätzungen zufolge nämlich auch über die deutschlandweit größte Anzahl sogenannter „Hidden-Champions“. Gemeint sind damit kleine bis mittelständische Unternehmen, oft und gerne in Familienbesitz, die es mit Nischenprodukten geschafft haben, sich eine führende Rolle am Weltmarkt zu erkämpfen. Neben einer vergleichsweise hohen Exportquote punkten sie mit stabilem Wachstum und erweisen sich als überdurchschnittlich wettbewerbsfähig und krisenresistent.

Gerechtigkeit durch Pandemie?

Eine der wohl interessantesten Ausformungen der Corona-Krise ist die zweifelhafte Gerechtigkeit, die den Arbeitsmarkt im letzten Jahr heimgesucht hat. Quer durch alle Ausbildungsschienen − von den Leih- und Hilfsarbeitskräften bis hin zu hoch qualifizierten Akademikern und Akademikerinnen − sind die Verlierer am Arbeitsmarkt breit gestreut wie nie zuvor. Ein allgemein gültiges Opfer-Profil kennt die Krise nicht. Während ganze Branchen und Wirtschaftszweige wie etwa der Tourismus und das Gastgewerbe vorübergehend für tot erklärt werden mussten, schaffen es kleine Nischenbetriebe. Diese erheben sich durch schnelles und flexibles Umdenken und Handeln mitten in der Krise wie Phönix aus der Asche.

Kosmetik- und Farbenhersteller gehen von heute auf morgen mit heiß begehrten Desinfektionsmitteln in Produktion. Hersteller von Berufsbekleidung nähen Masken und ganze verloren geglaubte Sparten, wie die Hersteller von längst aus der Mode gekommenen Spielsachen, sehen sich plötzlich einem nie dagewesenen Aufschwung gegenüber. Dass Krisen unberechenbar sind, wussten Wirtschaftsforschungsinstitute schon immer. Sie ziehen Kollateralschäden nach sich, die schwer vorhersagbar und im Nachhinein nicht minder schwer zu erklären sind. In der Krise sind alle allein. Wer es jedoch schafft, sich aus ihr heraus neu zu erfinden, kann jeder Zukunft gelassen entgegenblicken.